Den ganzen Mittwochvormittag eilen Leute vom Partyservice und ältere Schüler über den Schulhof zwischen den beiden Grundschul-Gebäuden, schmücken die aufgestellten Zelte mit bunten Tüchern und reihen haufenweise Stühle auf, damit dann gegen Mittag das große Spektakel beginnen kann: Verschiedene Klassen und Schülergruppen, alle einheitlich weiß-schwarz gekleidet, mit Weihnachtsmütze auf dem Kopf und rotem Schlips um den Hals, führen Weihnachtslieder und selbstausgedachte Tänze auf. Lotte und ich staunen, wann sie das alles eingeübt haben - zwar haben wir in den letzten Tagen hin und wieder mal "Santa Claus is coming to town" aus Kindermündern gehört und insbesondere die Krippenkinder haben fleißig das Glo-o-o-o-o-o-ria geübt, aber eigentlich waren doch alle gut mit den Examen beschäftigt. Umso begeisterter ist also auch Grandpa, der meint, die Weihnachtsfeier sei so gelungen wie lange nicht!
Natürlich ist auch der Weihnachtsmann da, aber die Kinder sind unterschiedlich überzeugt von dessen Echtheit: Während manche unsere Auskunft, dass es sich natürlich um den einzig Wahren handelt, sofort akzeptieren oder auch gar nicht erst daran denken, es zu hinterfragen, lassen sich andere nicht so leicht hinter's Licht führen - der echte Weihnachtsmann sei doch schließlich weiß und nicht schwarz. Lotte und ich finden es sowieso sehr schade, dass sich Madame Noemi nicht nur Bauch und Po angeschnallt hat, sondern auch mit einer weißen Maske ihr Gesicht verdeckt. Den zweifelnden Kindern erklären wir, dass es zwei Weihnachtsmänner gibt: Einen weißen und einen schwarzen.
Als die Schule aus ist, wundern wir uns, dass sich alle nur so knapp von uns verabschieden, immerhin werden wir uns erst in drei Wochen wiedersehen und auch frohe Weihnachten könnte man sich doch gegenseitig wünschen! Dann bekommen wir allerdings mit, dass wir uns geirrt haben und erst morgen der letzte Schultag ist - ein Glück, dass wir unsere Reise ohnehin so geplant haben, dass es erst Freitag losgeht.
Am Nachmittag waschen wir noch einmal und fangen dann an, unsere Rucksäcke zu packen - erstmals die richtig großen Backpacks statt der kleinen Tagesrucksäcke, die uns für unsere Wochenendausflüge immer gereicht haben.
Da am Donnerstag nur noch die Zeugnisausgabe stattfindet (hier ist das Schuljahr in Trimester eingeteilt, sodass es vor den Weihnachts-, Oster- und Sommerferien jeweils erst Examen und dann die Zeugnisse gibt), haben Lotte und ich heute nichts zu tun und nutzen die Zeit, um Grandpa von unseren Reiseplanungen zu erzählen. Dabei erfahren wir ganz nebenbei, dass die Ferien eine Woche kürzer sein werden, als man uns erst gesagt hatte, sodass wir unseren Plan noch einmal ziemlich umschmeißen müssen. Mit dem Ergebnis sind wir nun aber nach wie vor sehr zufrieden und so starten wir am Freitagmorgen in aller Frühe erwartungsvoll Richtung Accra - denn hier hat Lotte zunächst noch einen Zahnarzttermin wegen ihrer verloren gegangenen Zahnspange.
Alles läuft planmäßig ab, sodass wir am frühen Abend unsere erste richtige Etappe erreichen: Cape Coast. Nachdem wir in unser Hotel eingecheckt haben, setzen wir uns mit Mariele und Sophia, zwei Mitfreiwilligen, die wir seit dem Arrival Camp nicht mehr gesehen haben, an den Strand, genießen die Wellen und unterhalten uns noch lange sehr nett, schließlich gibt es viel zu erzählen.
Am Samstagmorgen frühstücken wir Kokosnuss, Papaya und Kekse und machen uns dann auf den Weg zum Kakum Nationalpark, der ganz in der Nähe liegt. Der Guide führt uns, zusammen mit etlichen anderen Leuten, die zu unserer Überraschung allesamt Ghanaer zu sein scheinen, ein Stück durch den Regenwald, den ich mir - zumindest als Kind - viel feuchter und tierreicher vorgestellt hatte. Dann stehen wir vor dem berühmten Canopy-Walk. Gerne lassen wir den anderen den Vortritt, um dann selbst in aller Ruhe ungestört über die 40 Meter hohen, wackeligen, aber gut gesicherten Brücken gehen zu können. Um uns herum Wald, soweit das Auge sehen kann. Wir genießen den Ausblick und lassen uns so viel Zeit, dass der arme Guide, der am Ende des Walks auf uns wartet, schon fast etwas genervt ist, als wir endlich dort ankommen - der Rest der Gruppe ist wohl schon längst wieder am Ausgang des Parks.
Zurück in Cape Coast stöbern wir noch eine Weile in den kleinen Läden am Castle, kaufen uns sogar die eine oder andere Kleinigkeit - schließlich ist bald Weihnachten - und kehren dann in einem Restaurant ein, das Maren und Cecilia uns empfohlen haben: Der Veggie-Burger sei lecker und der Affe, den sich der Besitzer als Haustier hält niedlich - sie haben nicht zu viel versprochen!
Am Sonntag sind wir mit Ulrike in Takoradi verabredet, wo wir dann sogar auch auf Cecilia, Cleo und Maren stoßen. Zusammen fahren wir weiter an den Ort, wo wir gemeinsam die Festtage verbringen wollen. Der Trotro-Fahrer warnt uns vor der schlechten Beschaffenheit der Straße und tatsächlich weist der Weg, der uns mitten durch den Urwald führt, an einer Stelle solche Schlaglöcher auf, dass der Mate aussteigen und barfuß durch die Pfütze waten muss, um herauszufinden, ob der Kleinbus diese passieren können wird. Zunächst drehen die Räder durch, dann schieben die männlichen Mitfahrer das Trotro über die heikle Stelle hinweg. Den holprigen Rest der Strecke schaffen wir problemlos.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Escape Three Points: Eine aus mehreren kleinen Hütten und Baumhäusern bestehende Hotelanlage, die sich wie eine eigene, versteckte Welt mitten im Wald und doch direkt am breiten Strand des Atlantischen Ozeans auftut. Es empfängt uns eine ganz eigene ruhige, fast besinnliche Atmosphäre und ich würde behaupten, ich befinde mich an dem entspanntesten Ort, an dem ich jemals war.
Bevor es ganz dunkel ist, nutzen wir die Gelegenheit und springen schon einmal in's Meer, dann lassen wir den Abend bei leiser Musik und Wellenrauschen in Ruhe ausklingen.
Als wir am nächsten Morgen aufwachen, ist uns zwar klar, dass heute Heiligabend ist, aber richtig realisieren können wir alle nicht, dass zu Hause gerade die letzten Geschenke verpackt, der Baum geschmückt und dann der Weg zur Kirche angetreten wird. Wir hingegen verbringen den Tag am Strand, sind viel im Wasser und genießen diesen wunderschönen Ort - wie Weihnachten fühlt sich das zwar nicht an, aber das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht, sonst würde man bestimmt doch die Heimat und die dortigen Traditionen und Gewohnheiten vermissen; so ist es einfach etwas ganz anderes, unvergleichbar mit einer "normalen" Weihnacht. Trotzdem lassen wir nach dem Abendessen eine Bescherung stattfinden: Wir haben kleine Wichtelgeschenke besorgt, die wir uns gegenseitig schenken - ich habe eine Kosmetiktasche aus ghanaischem Stoff und ein Stück Seife bekommen und verschenke ein Portemonnaie und selbtgebrannte Erdnüsse.
Anschließend bin ich mit meiner Familie zum Telefonieren verabredet und die Sorge, zumindest jetzt eine Träne vergießen zu müssen, zeigt sich als unberechtigt; es ist einfach schön, mit ihnen zu sprechen und immer häufiger geht es jetzt auch schon um ihren bevorstehenden Besuch im Februar, auf den wir uns alle sehr freuen. Etwas sentimental werde ich erst, als ich mir das Weihnachtsgeschenk von meiner Schwester ansehe: Ein Zusammenschnitt von Aufnahmen aus unserem gemeinsamen Schwedenurlaub - was für eine liebe Idee!
Als ich zu den anderen zurückkehre, sind alle am Lagerfeuer versammelt, das am Strand entzündet wurde, und wo wir noch eine Zeit lang gemütlich bei Wein zusammensitzen, bis wir gerufen werden, um uns die gerade in diesem Moment geschlüpften Schildkröten anzusehen!
Kurz nach Mitternacht springen wir nochmal ins Meer, dann kuscheln wir uns in unsere Schlafsäcke und verbringen die ganze Nacht unter dem Sternenhimmel am Strand - das werden wir nächstes Jahr um diese Zeit bestimmt vermissen!
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