Mittwoch, der 27. März 2019. Punkt sechs Uhr weckt mich der Wecker, ich drücke die Schlummer-Taste, kann aber gar nicht mehr so richtig einschlafen. Zu gespannt bin ich darauf, wie dieser besondere Tag fern von Freunden und Familie sein wird. Ich werfe einen Blick auf mein Handy und lese dankbar die lieben Glückwünsche, die mich schon erreicht haben. Dann stehe ich auf und öffne das 21. Türchen meines Adventskalenders - heute in 21 Wochen geht es wieder nach Hause. Wahnsinn, wie die Zeit verfliegt!
Ich suche mir eines meiner ghanaischen Kleider aus dem Schrank und will gerade duschen gehen, da wacht Lotte auf, die mir sofort nett gratuliert.
Während auch sie sich fertigmacht, schaue ich mir meine Geburtstagspost an: Ein liebes Päckchen mit viel Schokolade, Tee, Knäckebrot und einer Geburtstagskerze von meiner Tante, eine Karte von einer anderen Tante, ein lieber Brief mit alten Fotos von einer guten Freundin - Dankeschön!
Der Pencilverkauf verläuft ganz normal, bis Lotte aufsteht und sich unter einem Vorwand kurz verabschiedet. Als sie wiederkommt meint sie, Sir Mohammed wolle mich sprechen. Ich kann mir nicht vorstellen, was er wollen könnte und habe eigentlich keine große Lust, den Pencilverkauf frühzeitig abzubrechen. Lotte betont aber, dass es wirklich sehr dringend sei, also gebe ich mich geschlagen und folge ihr in Richtung der Grundschulräume. Von Sir Mohammed keine Spur und mir dämmert, dass er mich auch gar nicht sprechen wollte, als Lotte auf ihre zweite Klasse zusteuert. Als wir den Raum betreten, stehen die Schüler auf und beginnen wie auf Kommando „Joyeux anniversaire“ für mich zu singen - Lotte hat ihnen das Geburtstagslied in der letzten Französischstunde extra beigebracht und nun tragen sie es vor als hätten sie nie etwas anderes gemacht! Als das Ständchen vorbei ist, übergibt mir ein Schüler noch einen Stapel mit Gemälden - jedes Kind hat mir ein Geburtstagsbild gemalt. Ich freue mich riesig über die liebe Geste und Lotte erzählt mir stolz, wie aufgeregt die Schüler wohl im Vorfeld gewesen seien.
Die erste Unterrichtsstunde beginnt und Lotte und ich setzen uns in die Küche und machen zur Feier des Tages Pfannkuchen - mit Erdbeermarmelade, die mir meine Familie im Februar mitgebracht hat.
In der zweiten Stunde habe ich Unterricht in der 3c, zu der sich mein Geburtstag auch schon rumgesprochen hat; die Kinder sind aufgeregter als ich selbst! Im Hinblick auf das anstehende Exam in der kommenden Woche nutze ich die Stunde, um noch einmal alles Gelernte mit den Schülern zu wiederholen. Ich staune, dass sie sich noch an so vieles - auch aus dem ersten Term - erinnern; manche sind gar nicht zu bremsen und ergänzen immer mehr Wörter - am Ende ist kaum noch Platz an der Tafel. Das Prinzip der Mindmap haben sie schnell verstanden und es scheint ihnen Spaß zu machen!
Da Regen und Unwetter der letzen Tage mal wieder große Teile des Informationboards zerstört haben, male ich bis zum Mittag einen neuen Countdown, der die Tage bis zu den Ferien herunterzählt - die Schüler streiten sich morgens regelrecht darum, wer „canceln“, also abkreuzen darf und finden großen Gefallen an dem Kalender, den ich ursprünglich als Adventskalender in der Vorweihnachtszeit eingeführt hatte. Auch der Library-Plan muss erneuert werden, der den Schülern anzeigt, dass wir die Bücherbox montags in die zweite, dienstags in eine dritte, mittwochs in eine vierte Klasse usw. bringen.
Zum Mittag gibt es Red-Red (Kochbanane mit Bohnen) und zum Nachtisch den Kuchen - bzw. eher Pudding - den Lotte und ich gestern Abend gerührt haben - er sieht zwar etwas anders aus als auf den „Chefkoch“-Bildern, schmeckt uns aber trotzdem gut.
Sandra hatte mir schon erzählt, dass ich nicht das einzige Geburtstagskind an der Sygma sein werde und natürlich mache ich auch ein Bild mit dem kleinen Franklin, der heute 4 geworden ist, und schicke es meiner Cousine, die heute ihren 13. Geburtstag feiert.
Zwischendurch bekomme auch ich immer wieder Glückwunschnachrichten von Familie und Freunden, die netterweise an mich denken, obwohl ich so weit weg bin! Die Kinder hingegen rufen mir über den ganzen Schulhof hinweg ihre Glückwünsche zu - auch noch in den folgenden zwei Tagen.
Am Nachmittag gehen Lotte und ich auf den Markt und zur Post, um das Päckchen von Mama, Papa und Julia abzuholen, das aber leider noch nicht da ist (sondern zurückgeschickt wurde, wie Mama mir wenige Tage später mitteilt...).
Dafür telefoniere ich abends aber sehr nett mit den dreien und freue mich, sie auf diese Weise heute bei mir haben zu können.
Zum Abendessen machen Lotte und ich Süßkartoffel-Gurken-Salat - das Kochen dauert aber so lange, dass wir zum Essen kaum noch Zeit haben, denn um 20:45 Uhr (!) endet der Unterricht der Neuntklässler, die sich auf ihre Examen vorbereiten, und dann wollen wir einen gemeinsamen Filmeabend veranstalten. Die Schüler sind begeistert, als wir mit Lottes Laptop kurzerhand einen dunklen Klassenraum in ein Kino verwandeln und setzen sich dicht gedrängt vor den Bildschirm. Gespannt verfolgen sie das Geschehen des Tanzfilmes; hinterher bedanken sie sich nett und fragen, ob wir das jetzt nicht jeden Abend machen könnten. Tatsächlich haben auch wir Lust bekommen, in Zukunft öfter gemeinsame Filme- und Spieleabende zu veranstalten.
Die Schüler verabschieden sich ins Bett, Lotte und ich machen noch einen kurzen Abstecher in die Küche, bevor auch wir schließlich schlafen gehen.
Ich weiß gar nicht, ob ich mir meinen Geburtstag so vorgestellt hätte; es hat sich auch nicht unbedingt immer wie mein Geburtstag angefühlt, aber ein schöner und auch besonderer Tag war es allemal. Vielen Dank an alle, die daran beteiligt waren, an mich gedacht und mir gratuliert haben.
Lotte und ich haben uns entschieden, meinen und auch ihren Geburtstag am Wochenende in Ada-Foah (nach-) zu feiern, wo sie schon einmal mit Maren war, als ich mit meiner Familie unterwegs war. Am Freitag machen wir uns also auf den Weg und kommen spät abends zusammen mit Maren an dem - selbst in der Dunkelheit - sehr idyllischen Ort an.
Den Samstag verbringen wir in Hängematten im Halbschatten der Palmen und im Wasser des Volta-Flusses, der hier ins Meer mündet.
Am frühen Abend spazieren wir in das nächste Dorf, wo wir uns in einer kleinen Bar niederlassen. Zurück fahren wir zu viert auf einem Motorrad (!) - wir kommen aber heile an und genießen dann die gemütliche Atmosphäre am Lagerfeuer, bis es Mitternacht wird.
Mit einem „Club“-Bier stoßen wir mit einigen Ghanaern, die mit uns am Lagerfeuer sitzen, auf Lottes Geburtstag an. Im Hintergrund hört man das Rauschen des Meeres - und bald kölsche Karnevalslieder von Lottes Handy, das an einen großen Lautsprecher angeschlossen ist, aus dem bis vor wenigen Minuten noch ghanaische Charts schallten. So sehr die Ghanaer ihre eigene Musik lieben, so gerne tanzen sie nun auch ausgelassen mit uns zu unserer deutschen Musik.
Obwohl - oder gerade weil - die Szene so absurd ist, haben wir unglaublich viel Spaß und fallen erst um 4 Uhr erschöpft in die Betten unserer palmwedelgedeckten Hütte.
Am Morgen frühstücken wir in Ruhe, gehen noch eine Runde schwimmen und machen uns dann langsam auf den Rückweg, der uns durch das kleine Dorf, Palmenwälder, über eine Holzbrücke und schließlich mit dem Motorrad zur Trotro-Station führt.
Nur vier Stunden später kommen wir wieder an der Sygma an, Lotte telefoniert mit ihrer Familie und dann braten wir uns Süßkartoffelspalten, wie es sich das Geburtstagskind gewünscht hat. Mittlerweile ist es doch schon ziemlich spät und ein schönes Wochenende geht zu Ende.
Am Montag wird Lotte noch von einigen Lehrern und auch Schülern beglückwünscht, die sich irritiert erkundigen, warum es denn keinen Filmeabend gab, wenn doch einer von uns Geburtstag hatte.
Abends machen wir unseren ersten Orangen-Mango-Saft mit der Obstpresse, die Maren uns zum Geburtstag geschenkt hat - vielen Dank nochmal!
Geburtstag fern von daheim: Das bedeutet, seinen besonderen Tag ohne seine Lieben aus der Heimat und ohne Mamas Nusstorte, dafür aber mit neuen Freunden, jeder Menge Kinder und bei über 30°C zu feiern - den heißesten Geburtstag aller Zeiten werde ich so schnell bestimmt nicht vergessen!
Kommentar schreiben