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Der Weg ist das Ziel - Vom Trotrofahren

Der erste Examenstag ist geschafft, die ersten Französischarbeiten sind bereits korrigiert, der letzte Schüler hat das Schulgelände verlassen. Als Lotte das große, orangene Tor nun auch hinter uns zuzieht, wird uns bewusst, dass dies unser letzter Wochenendausflug sein wird.

Noch während wir die New Road überqueren, um an der richtigen Straßenseite zu stehen, hält ein Trotro, das ahnt, in welche Richtung wir wollen. Zur Sicherheit lassen wir unseren Zeigefinger durch die Luft kreisen und der Mate versteht wortlos, dass wir tatsächlich zum Circle fahren wollen.

Das Trotro ist noch recht leer, wir suchen uns die letzte Reihe aus und nehmen neben einem Schüler, der sicherlich auf dem Heimweg ist, Platz. Überrascht deutet Lotte in Richtung ihrer Knie - das Trotro bietet viel mehr Beinfreiheit als gewohnt, wie angenehm. 

„Hoffentlich ist nachher auf der längeren Strecke nicht auch die Musik so laut“, sage ich zu Lotte, dann stecken wir uns unsere Kopfhörer in die Ohren, ich wähle „alles zufällig abspielen“ auf meinem Handy aus.

In Doboro, etwa auf Höhe des Hotels, in dem meine Familie im Februar geschlafen hat, steigt ein junges Mädchen in Schuluniform dazu. Etwas irritiert schaut sie erst mich, dann Lotte an. Ich grüße sie freundlich, doch sie ist zu perplex, um darauf zu antworten. Ich schaue wieder aus dem Fenster, doch sie starrt mich weiter von der Seite an. Etwas erleichtert bemerke ich aus dem Augenwinkel, dass sie lediglich einen 1-Cedi-Schein zum Bezahlen zückt, sie fährt also nur ein kurzes Stück mit. Ein wenig unangenehm ist es schließlich schon, so beobachtet zu werden.

Aus meinen Kopfhörern klingt „Haus am See“, doch trotz maximaler Lautstärke schafft Peter Fox es nicht, das laute Gedudel aus dem Radio vollständig zu übertönen.

Zwischen Erdnussgebäck- und Pure-Water-Verkäufern kommt das Trotro zum Stehen. Ein Mann steigt zu uns und setzt sich neben mich. Mit seinen breit gespreizten Beinen nimmt er unglaublich viel Platz auf der Sitzbank ein, doch noch weiter rücken kann ich nicht, denn zwischen Lotte und mir liegt noch der vom Mittag übrig gebliebene Jollof rice, den wir als Reiseproviant mitgenommen haben. 

Aus den vorderen Reihen weht der angenehme Duft eines Männerparfüms zu uns nach hinten.

Kurz vor Accra steigt mein Sitznachbar aus, ein Neuer ein. Dieser tanzt begeistert zur Musik, die ich nach wie vor nur bruchstückhaft im Hintergrund meiner Eigenen höre. Die neuesten ghanaischen Hits scheinen es aber nicht gerade zu sein, ich bleibe lieber bei Meiner. 

Als wir an einem großen, blau gestrichenen Haus mit „Samsung“-Schriftzug vorbeifahren, nehmen Lotte und ich wie auf Kommando die Kopfhörer raus und verstauen das Handy sicher in der Bauchtasche, wir werden gleich an unserem ersten Etappenziel angekommen sein. 

Der Mate schiebt die Trotrotür zur Seite und wir springen ins Gewusel. Zielsicher steuern wir an Essens-, Handyzubehör- und Kosmetikständen vorbei und auf die Straße hinter der großen Trotrostation zu, an der wir ein Kaneshie-Car erwischen wollen. 

Heute ist nicht ganz so viel los wie letztes Mal und bald sitzen wir im Trotro, das wir wenige Minuten später an einer anderen Station wieder verlassen. „Hier läuft immer so viel leckeres Essen rum“, bemerkt Lotte, aber wir haben ja unseren Jollof rice.

Das Winneba-Trotro ist schon fast voll - gut für uns, weil wir dann nicht so lange warten müssen, schlecht, weil wir leider nur noch die unbequemen Klappsitze abbekommen. 

Kaum haben wir die Station verlassen, stehen wir im Stau. Freitagabend - es ist die Hölle los. Aus dem sich direkt über meinem Kopf befindenden Lautsprecher dröhnt Musik - leider wieder nicht die sonst überall gespielte Gute-Laune-Ghana-Musik, sondern ein immergleicher Sprechgesang auf Twi. 

Vielleicht sollte ich einen Podcast hören, denn ich bezweifle, dass meine Musik DAS noch übertönen kann. 

Aus einem unerfindlichen Grund ist keines der Schiebefenster geöffnet, es ist viel zu warm hier drinnen, der Arm meiner Sitznachbarin klebt an meinem. 

Wir rollen ein Stück, dann stehen wir wieder, Glück gehabt, war nur eine Ampel. Schnell kommen wir aber trotzdem nicht gerade voran.

Jemand hat sich durch‘s Fenster Popcorn gekauft, es riecht nach Kino, ich starte eine Playlist mit Filmmusik, den Podcast habe ich nach zwei Minuten abgebrochen, weil ich doch kein Wort verstanden habe. 

Der Vorteil am Klappsitz: Man genießt einen exklusiven Fensterplatz. Bis zu den riesigen Leuchtbuchstaben der Westhills-Mall, an denen wir gerade vorbeifahren, haben wir letztes Mal viel länger gebraucht, dann ist es ja heute doch gar nicht so schlimm mit dem Verkehr!

Wir schleichen an dem großen See vorbei, der mich immer an schwedische Seen denken lässt. Bei einer größeren Baumlücke am Ufer kommt der Verkehr wieder zum Erliegen, gerade so als ob mir ein längerer Blick auf das Gewässer gewährt werden sollte. 

Mehrmals liefern wir uns ein Wettrennen mit Plantainchips- oder Brotverkäuferinnen, die beim Stocken des Verkehrs aufholen und bei jedem Weiterrollen wieder zurückfallen, im Notfall wird das Geld einfach aus dem Fenster geworfen. 

„35 km to Winneba“ lese ich kurz hinter einer Mautstation, seit der der Verkehr endlich besser fließt. Das mag erstmal wenig erscheinen, entspricht aber ziemlich genau der Strecke zwischen Nsawam und Accra, für die wir mal 45 Minuten, mal 2 Stunden brauchen. So richtig etwas damit anfangen kann ich also nicht, aber wenn wir weiter so vorankommen wie gerade, dann dürfte es nicht mehr allzu lange dauern. 

Wobei beim Trotrofahren auch durchaus der Weg das Ziel ist - ich mag es, verträumt aus dem Fenster zu schauen, meiner Musik zu lauschen und einfach nur den eigenen Gedanken nachzuhängen. Wann hat man dafür im Alltag schon mal Zeit?

Vielleicht antworte ich das demnächst einfach mal, wenn mich aufdringliche Taxi-Fahrer fragen, wo ich hin will - nirgends, der Weg ist mein Ziel!


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